„Canfranc – Gegenwart und Zukunft“

Die beiden Freunde und Berufsfotografen arbeiten bereits seit einigen Jahren an diesem Projekt – und wir wissen nicht wirklich, ob es schon abgeschlossen ist. Die Dauer des Originalprojektes des “Internationalen Bahnhofs Canfranc”, wie er übrigens heute noch heißt, wird freilich schwer einzuholen sein – dauerte es doch über 70 Jahre von der ersten Planung bis zur feierlichen Eröffnung.

1853 wurde die Idee dieses Bahnhofes geboren -als schnellste Verbindung zwischen Madrid und Paris. 1928 erfolgte dann die feierliche Eröffnung in Anwesenheit des Spanischen Königs und des Französischen Präsidenten – am Rande der Pyrenäen, mitten in der Provinz, mit Ausmaßen, die auch in einer der Metropolen Europas bemerkenswert gewesen wären. 1996, als die ersten Aufnahmen zu diesem fotografischen Projekt entstanden, war dieser internationale Bahnhof bereits seit vielen Jahrzehnten völlig bedeutungslos. – Was war geschehen?

Man liest von Selbstüberschätzung, Vetternwirtschaft, Sabotage und Fehlplanungen. Aber auch von praktischen Gründen, die nachvollziehbarer sind, wie z.B. der unterschiedlichen Spurbreite der spanischen und französischen Eisenbahnschienen, die folglich ein Umsteigen der Passagiere und ein Umladen der Güter notwendig machten. Somit war die Strecke auf Dauer für Spediteure nicht rentabel, Zeit- und Kostenvorteile gegenüber der 100 Kilometer längeren Route entlang des Atlantiks oder des Mittelmeeres wurden wieder vernichtet. So ist dieser Bahnhof heute nur noch ein Zeugnis von monumentaler Größe und sicherlich auch von Größenwahn – und vom Verfall einer europäischen Vision.

Nun zu den Bildern von Stefan Gregor und Matthias Maas. Hierüber zu sprechen liegt mir, als Fotograf, naturgemäß näher als Historie und Geografie.

Betrachten wir uns zunächst einmal das Thema: “Bahnhof”- Eine Stätte der Begegnung, von Begrüßungen und Abschieden, Tor zu fremden Welten, Multikultur, mit einem Wort: Leben. Alles Dinge, die mit diesem Begriff assoziiert werden. Alles Dinge, die in diesen Bildern (bis auf wenige Ausnahmen) kaum zu finden sind.

Sehen wir uns das Ganze also mal etwas “fotografischer” an:

Matthias Maas hat sich unter anderem als Architekturfotograf einen sehr guten Ruf erworben. Architekturfotografen sind jene bewundernswerten Enthusiasten, die meist mit schwerem Gepäck und mit viel Geduld unterwegs sind, ihre beste Zeit unter einem großen, schwarzen Tuch mit konzentriertem Blick auf ein -letztlich immer zu dunkles – kopfstehendes Mattscheibenbild verbringen und hier, vermutlich still betend, auf den alles erhellenden Lichtstrahl warten, der dann Farbe, Form und Stimmung in einer ausgewogenen, harmonischen und doch auch wieder spannenden Komposition vereint. Gute Architekturfotografie vermag dies tatsächlich – und Matthias Maas weiß wie’s geht.

In seinen Arbeiten an diesem Projekt gelingt ihm durch den konsequenten Einsatz von Schwarzweiß-Material eine Konzentration auf Form und Struktur, verpackt in einer durchaus nostalgischen Verbeugung vor großer Baukunst. Die Auftraggeber eines Architektur-Fotografen sind in aller Regel Verlage, Stadtverwaltungen, Architekten und Bauherren, die voller Stolz ihre Bauwerke präsentiert wissen wollen. Jedoch: auf den “Internationalen Bahnhof Canfranc” ist heute niemand mehr stolz.

Nun zu Stefan Gregor: Als Fotojournalist ist er der Mann, der zum richtigen Zeitpunkt, am richtigen Ort, mit dem richtigen Objektiv auf der richtigen Kamera den wirklich wichtigen Augenblick im Bild festhält. Journalismus- oder Reportagefotografie: allein diese Begriffe beinhalten bereits den Ablauf eines Vorganges, einer Veränderung oder auch Aktualität und Tempo. So gesehen hat Stefan Gregor den Canfranc-Termin heftig “versemmelt”, denn hier war er viel zu spät, um auch nur halbwegs aktuell zu sein: auf dem “Internationalen Bahnhof Canfranc” läuft nix mehr weg!

Aber seine Bilder – was für ein Genuss!! Und man merkt Stefan Gregors Arbeit an, dass auch er diese Zeit der Ruhe genossen haben muss. Zumal diese Ruhe durchaus nicht sein “geschärftes Auge” für das Detail, die Stimmung des Augenblicks und für die Faszination der Vergänglichkeit getrübt hat.

Nun scheinen alle inhaltlichen und auch fotografischen Widersprüchlichkeiten aufgespürt zu sein und es stellt sich schon die Frage: Mit was für Bildern haben wir es hier also zu tun?

Sehen wir doch noch einmal genau hin:

Geschichte – stehengeblieben, aber spürbar.
Architektur – verfallen, aber spürbar.
Leben – ausgestorben, aber spürbar.
Die Entwicklung des Bahnhofes selbst – tragisch, also:
Emotion pur!

Und das ist es, womit Sie es hier zu tun haben, mit emotionalen Fotografien. Und wenn Sie sich die Zeit nehmen und hineinfallen lassen, kann es passieren, dass sich einzelne Teile wieder ordnen, daß einige Flecken und Unrat verschwinden. Und einigen Fantasiebegabten soll es schon passiert sein, dass sie Schritte und Stimmen hörten von Herren mit steifem Kragen und Damen mit Rüschenkleidern und breiten Hüten, oder sie hörten ein Pfeifen oder ein “tschtschtschtsch” …

So hat dieser “Internationale Bahnhof von Canfranc” doch noch einen Zweck: von Stefan Gregor und Matthias Maas fotografiert zu werden und Sie vielleicht ein wenig zum Träumen zu bringen.

Ich wünsche Ihnen viel Spaß dabei.

© Frank Freihofer – August 2001

(Frank Freihofer – www.freihofer.com)